Formel-Bolschewismus: Eine historische Soziologie der Euro-Umrechnung

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Abstract

1939 hielt Ludwig Wittgenstein in Cambridge eine Reihe von Vorträgen über die Grundlagen der Mathematik. Unter den Zuhörern befand sich Alan Turing, und die Vorträge entwickelten sich schnell zu einer intellektuellen Debatte. Turing akzeptierte Wittgensteins Untersuchungsmethode nicht und verließ die Vortragsreihe früh, frustriert über die versuchte Einführung von „Bolschewismus in die Mathematik“, wie es Wittgenstein selbst später augenzwinkernd nannte (Monk 1990: 417, 420). Was von der mathematischen Welt zu jener Zeit als „bolschewistische“ Bedrohung verstanden wurde, war nicht die Existenz der Sowjetunion, sondern das Programm des „anti-foundationalism“ in der Mathematik. Dieses Programm, das weder etwas mit politischen Revolutionen noch mit der Sowjetunion im Sinne hatte, wurde in den dreißiger Jahren von vielen Mathematikern als eine mit der bolschewistischen Revolution vergleichbare Bedrohung empfunden. Doch Wittgensteins eigenes Programm war letztendlich ein anderes: die Demonstration der untrennbaren Verbundenheit der Logik mathematischer Gesetze mit ihren sozialen Grundlagen. Was er in seinen Vorträgen systematisch hervorhob, war die Angewiesenheit mathematischer Beweise auf ein Netzwerk sozialer Vorkehrungen und Regeln. Wittgensteins Bolschewismus1 war also keineswegs „anti-foundationalist“, sah er doch die Grundlagen mathematischer Beweise und Formeln fest im Sozialleben verankert.
Original languageGerman
Title of host publicationZahlenwerk : Kalkulation, Organisation und Gesellschaft
EditorsAndrea MENNICKEN, Hendrik VOLLMER
PublisherVS Verlag fur Sozialwissenschaften
Chapter9
Pages165-184
Number of pages20
ISBN (Electronic)9783531904498
ISBN (Print)9783531151670
DOIs
Publication statusPublished - 2007
Externally publishedYes

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